Weißt du noch das erste Wort, dass du gesprochen hast? Die erste Bitte, die über deine Lippen kam war zwar undeutlich, aber deine Mutter hat dich verstanden. Das tun Mütter meistens. Dein erstes Wort war der erste Schrei eines jeden Neugeborenen. Der lautete „Erbarmen“! Jedes Neugeborene kommt mit dieser einen Bitte auf die Welt, „Erbarme dich über mich. Hab Erbarmen mit mir.“ Und das hat deine Mutter dann auch getan, sie hat sich erbarmt. Und nicht nur einmal. Ich verdanke sehr viel in meinem Leben auch der Barmherzigkeit meiner Mutter. Darum tröstet Gott auch mit diesem wunderbaren Wort, Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Jes 49,14
Dass eine Mutter sich nicht über ihr Kind erbarmt ist undenkbar. Und doch kann das passieren. Aber dass Gott sich nicht über sein Volk erbarmt, das kann nie passieren. Das ist eine wertvolle Gewissheit am Anfang eines neuen Jahres: Du kannst mit Gottes Barmherzigkeit rechnen. Und glaub mir, du wirst Gottes Erbarmen brauchen. Wir brauchen es unser ganzes Leben lang.
In der Jahreslosung werden uns 4 Wahrheiten vor Augen gehalten:
Das Gebot Jesu, Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist zeigt mir: alle Menschen sind auf Erbarmen angewiesen. Mit diesem Gebot macht sich Jesus zum Fürsprecher von Menschen, die unsere Barmherzigkeit brauchen. Jesus bittet dich an ihrer Stelle: Hab Erbarmen mit mir! Menschen brauchen einen barmherzigen Gott und barmherzige Mitmenschen. Erbarmen nötig zu haben bedeutet unverdiente Hilfe nötig zu haben. In einem biblischen Gleichnis ist es der König, der sich über den hoffnungslos verschuldeten Knecht erbarmt und ihm seine ganze Schuld vergibt. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch. Matth 18,27
hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? V.33
Barmherzigkeit ist überall nötig, wo Menschen Erlösung nötig haben, wo sie in Schuld, Schwachheit und Krankheit verstrickt sind.
Johann Hinrich Wichern hat 1833 im Alter von 25 Jahren das Raue Haus in Hamburg ins Leben gerufen. Das Raue Haus war eine „Rettungsanstalt für arme und verwahrloste Kinder“. Einmal wurde ein verwahrloster Junge zu ihm ins Arbeitszimmer gebracht. Ein Betreuer überreichte auf einigen Papieren die vernichtende Beurteilung dieses Jungen. Er war straffällig geworden, war von einem Heim ins andere abgeschoben worden, aus anderen war er weggelaufen. Seine Vergangenheit war so, dass er sich die Zukunft verbaut hatte. Wichern nahm die Papiere und hielt sie an die Kerze auf seinem Schreibtisch. Als sie Feuer fingen, warf er die brennenden Blätter in den Kamin. Er wartete, bis sie verbrannt waren.
Dann wandte er sich dem Jungen zu und sagte, „Hier wird keiner auf seine Vergangenheit festgelegt. Bei uns kann jeder neu anfangen. Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist! Hier ist kein Riegel, keine Mauer, kein Graben. Nur mit einer starken Kette binden wir dich hier. Du magst sie zerreißen, wenn du kannst. Sie heißt Liebe.“
Wichern hatte die Liebe Gottes in seinem eigenen Leben erfahren. Er hatte erkannt: Jesus Christus, der Sohn Gottes, nahm die Schuld der Welt auf sich, als er am Kreuz starb. Wichern hatte an einem Punkt seines Lebens dieses Geschehen ganz persönlich auf sich bezogen. Jesus starb auch für mich. Gott verbrennt meine Sündenregister. Gott ist barmherzig. Die Barmherzigkeit Gottes war für Wichern der Schlüssel für seine liebevolle Zuwendung zu Menschen am Rand der Gesellschaft.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Ein Tagesgebet der katholischen Kirche beginnt mit den Worten: „Gott, du offenbarst deine Macht vor allem im Erbarmen und Verschonen.“ Gott erkennt in seiner Barmherzigkeit die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Barmherzigkeit ist keine Schwäche, sondern die stärkste Eigenschaft Gottes. Barmherzig zu sein braucht Kraft. Unsere Barmherzigkeit orientiert sich an der Barmherzigkeit Gottes. Wir sollen uns von der Barmherzigkeit Gottes prägen und leiten lassen. Der Barmherzigkeit Gottes verdanken wir unser Leben als Kinder Gottes. Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, Tit 3,4+5a
Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert; das zähl ich zu dem Wunderbaren, mein stolzes Herz hat's nie begehrt. Nun weiß ich das und bin erfreut und rühme die Barmherzigkeit.
Philipp F. Hiller Die von Gott her erfahrene Barmherzigkeit wird zu meiner Aufgabe.
Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft Gottes, von der der Mensch abhängig ist. Schon im AT gilt Gott vor allem als der Barmherzige und Gnädige. Dafür wird er immer wieder gelobt. Barmherzigkeit ist eine der herausragenden Eigenschaften Gottes. Das Glaubensbekenntnis der Juden lautet: Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. Ps 103,8
An erster Stelle steht immer barmherzig. Gott ist barmherzig, weil Er die Sünde zwar sieht, aber verzeiht und dem Bund mit seinem Volk treu bleibt. Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. Mi 7,19
Jesus hat sich bitten lassen, barmherzig zu sein: Und als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei Blinde, die schrien: Ach, du Sohn Davids, erbarme dich unser! Matth 9,27
Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Matth 15,22
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Jesus gibt dies Gebot, weil wir unbarmherzig sind und dazu neigen, unbarmherzig zu sein. Eine fernöstliche Weisheit lautet: Flut und Feuer kennen kein Erbarmen. Oft kennen Menschen auch kein Erbarmen. Die Flüchtlingskrise ist auch eine Krise fehlender Barmherzigkeit. Es war kein anderer als der Prophet Jona, der nicht barmherzig sein wollte. Das aber verdross Jona sehr und er ward zornig und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist's ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war, weshalb ich auch eilends nach Tarsis fliehen wollte; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? Jo 4,1ff
Das Volk Israel, Gottes Volk, das alles der Barmherzigkeit verdankt, wird mit Jona ein Spiegel vorgehalten. So traurig es ist, auch in Kirchen und Gemeinden gibt es viel Unbarmherzigkeit. „Ja, teurer Freund, du hast sehr recht: Die Welt ist ganz erbärmlich schlecht, ein jeder Mensch ein Bösewicht. Nur du und ich natürlich nicht.“
Paul Baehr
Darum ist dies Gebot nötig. Darum habe ich es nötig, mir sagen zu lassen: Sei barmherzig, Volkmar. Ist das nicht großartig: Jesus traut es dir und mir zu, barmherzig zu sein! Barmherzigkeit ist die Haltung, die nicht danach fragt, was ein Mensch verdient hat, sondern was er braucht. Barmherzige Menschen haben ein Herz. Wer barmherzig ist kann das Elend nicht sehen, ohne sich zum Helfen angetrieben zu fühlen. Weil Gott mit uns barmherzig ist, sollen wir auch barmherzig mit uns selbst und mit anderen sein. Wir leben, glauben, hoffen und singen, weil Gott mit uns barmherzig ist. Wer Barmherzigkeit empfangen hat, kann nicht so bleiben wie er ist. Wer sich erbarmt erlöst zwei Menschen – sich selbst und einen anderen.
Seid barmherzig… Es ist Jesus sehr wichtig, dass wir barmherzig sind. Dass wir anders sind. Dass wir Schuld vergeben, Kranke und Einsame besuchen, Sterbende begleiten, mildtätig sind, für Menschen beten, gastfreundlich sind. So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; Kol 3,12
Barmherzigkeit ist auch Gehorsam Jesus gegenüber. Wir können und sollen uns entscheiden, barmherzig zu sein mit anderen.
In seinem Buch „Widerstand und Ergebung“ schreibt Dietrich Bonhoeffer: „Wir müssen lernen, die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen, als auf das, was sie erleiden, anzusehen. Das einzig fruchtbare Verhältnis zu den Menschen - gerade zu den Schwachen - ist die Liebe, d.h. der Wille, mit ihnen Gemeinschaft zu halten. Gott selbst hat die Menschen nicht verachtet, sondern ist Mensch geworden um der Menschen willen ...Wir können das Leiden anderer Menschen nur in ganz begrenztem Maße wirklich mitleiden. Wir sind nicht Christus; aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, dass wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat.“