Der Mann kam mürrisch zum Sonntagsfrühstück und verkündete entschlossen, „Ich gehe nicht mehr in die Kirche. Da werde ich nur kritisiert. Einige grüßen mich nie. Nein, ich bleibe jetzt sonntagvormittags zu Hause. Ich hab genug von Kirche.” Nach einer Pause sagte seine Frau zu ihm, „Hör mal, Schatz. Ich kann dir mindestens drei gute Gründe nennen, warum du zur Kirche gehen solltest. Erstens, hast du es mir bei unserer Hochzeit versprochen. Zweitens, solltest du deinen Kindern ein Vorbild sein. Und drittens: du bist der Pastor der Gemeinde...”
Auch wenn jetzt manche über diesen Witz schmunzeln, so wissen sie vielleicht auch um den Ernst hinter dieser Unterredung. Das Problem, dass Menschen der Gemeinde den Rücken kehren, ist so alt wie die Kirche. Darum soll es in dieser Ansprache gehen. Es geht um Christen, die über Jahre treu am Gemeindeleben teilgenommen haben, die mitgearbeitet und sich engagiert haben – und plötzlich nicht mehr kommen. Die Gründe dafür sind vielfältig. In einem aus dem Englischen übernommenem Spruch heißt es: „Im Himmel Gott loben mit den Heiligen droben, welch Wonne im ewigen Lichte; hier unten auskommen mit irdischen Frommen, das ist eine andere Geschichte.” Hast du selbst schon mal darüber nachgedacht, nicht mehr zur Gemeinde zu gehen? Vielleicht hast du dich auch schon entschieden: „Ich gehe nicht mehr. Ich will nicht mehr.” In einer Glaubensgemeinschaft zu bleiben, der ich aus Überzeugung beigetreten bin, ist nicht selbstverständlich.
Und nun, Kinder, bleibt in ihm
Dazu ermutigt Johannes in unserem Abschnitt. Das ist dem Apostel Johannes sehr wichtig, dass Christen die Gemeinschaft mit anderen Christen nicht verlassen, dass sie bleiben. Dieses Wort, bleiben, kommt wiederholt vor im heutigen Abschnitt. In der Bibelübersetzung Hoffnung für alle steht über diesem Text, Nichts soll euch von Christus trennen. An einer Beziehung zu Jesus Christus festzuhalten und an Beziehungen zu anderen Christen festzuhalten – dazu können, sollen und müssen sich Christen immer wieder entscheiden. Das gilt auch für mich als Pastor.
In Kapitel 1, Vers 7, schreibt Johannes: Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. Gemeinschaft ist etwas sehr kostbares. Sie ist aber auch zerbrechlich. Mit Gemeinschaft ist aber mehr gemeint, als nebeneinander in einer Kirchenbank zu sitzen.
Gemeinschaft bedeutet, am Leben anderer Menschen Anteil zu nehmen. Gemeinschaft bedeutet, anderen Menschen am eigenen Leben Anteil zu geben. Gemeinschaft bedeutet, das Leben zu teilen. Das möchte Gott. Und dazu möchte Gott uns helfen. In einer Gemeinschaft zu leben ist ein Lernprozess.. Das hat Jesus Christus mit seinen Jüngern gelebt. Er teilte sein Leben mit ihnen. Das haben die ersten Christen vorbildhaft gelebt. Von ihnen heißt es in Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 42: Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.
Sicher, die ersten Christen hatten auch Probleme und Konflikte. Das können wir in den Briefen des Neuen Testaments nachlesen. Johannes schreibt in unserem heutigen Bibeltext von Irrlehrern, die er Antichristen nennt. Dieser Begriff kommt nur an dieser Stelle der Bibel vor. Diese Leute hatten unter den Lesern gelebt und hatten sie im christlichen Glauben unterwiesen. Aber sie leugneten, dass Jesus Christus der Sohn Gottes sei. Johannes spricht diesen Irrlehrern ihr Christsein ab:
„sie waren nicht von uns“
stellt Johannes kurz und unmissverständlich fest. Das ist eine harte Aussage. Nun möchte ich aber nicht den Fehler machen, aus dieser Aussage in Vers 19 den Schluss zu ziehen: Jeder, der sich von der Gemeinde trennt, gehörte nie wirklich dazu. Das ist nicht wahr. Sonst bräuchte Johannes nicht zu schreiben, Und nun, Kinder, bleibt in ihm; sonst würde im Hebräerbrief nicht stehen, Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht; sonst bräuchte Jesus seine Jünger nicht auffordern, Bleibt in mir und ich in euch... Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; (Joh 15) Auch Christen können sich dazu entscheiden, die Gemeinschaft mit anderen Christen zu verlassen. Manche kommen zurück. Andere nicht. Ein guter Freund von mir war nach einer schweren persönlichen Krise ein Jahr lang nicht in der Lage, einen Gottesdienst zu besuchen. Sein Glaube an Gott war tief erschüttert. Seit vielen Jahren ist er wieder treu dabei und lebt seinen Glauben als Mitglied einer Gemeinde.
Einmal besuchte ich ein Gemeindemitglied, das seit 10 Jahren nicht mehr zur Gemeinde gekommen war. Diese Frau wollte ohne Gemeinschaft mit anderen Christen leben. Heute geht sie wieder treu zu gemeindlichen Veranstaltungen und arbeitet in der Gemeinde mit. Über den Glauben anderer Menschen zu urteilen, erfordert sehr viel mehr als nur zu fragen: Kommt er oder nicht? Nimmt sie am Gemeindeleben teil oder nicht? Da halte ich es lieber mit Paulus, der an Timotheus schreibt: Aber der feste Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Seinen; (2. Tim 2,19)
Johannes ist besorgt um die Christen, an die er schreibt. Das Auftreten dieser Irrlehrer, der Lehrstreit um die Frage, wer Jesus ist – all das hat sie verunsichert. Da waren nagende Fragen: Wie sollen wir das verstehen? Was sollen wir glauben? Warum haben wir diese Konflikte? Als erfahrener Seelsorger bestärkt Johannes die verunsicherten Christen. Er erinnert sie an das, was sie am Anfang ihres Glaubenslebens gelernt haben. Unser Glaube muss sich bewähren. Darum, „Bleibt in ihm, haltet fest an der Beziehung zu Jesus Christus und an der Beziehung zu anderen Christen.”
Dietrich Bonhoeffer hat diese Problematik in dem Buch Gemeinsam Leben angesprochen. Er schreibt: Unzählige Male ist eine ganze christliche Gemeinschaft daran zerbrochen, dass sie aus einem Wunschbild heraus lebte. Gerade der ernsthafte Christ, der zum ersten Male in eine christliche Lebensgemeinschaft gestellt ist, wird oft ein sehr bestimmtes Bild von der Art des christlichen Zusammenlebens mitbringen und zu verwirklichen bestrebt sein. Es ist aber Gottes Gnade, die alle derartigen Träume rasch zum Scheitern bringt... Jedes menschliche Wunschbild, das in die christliche Gemeinschaft mit eingebracht wird, hindert die echte Gemeinschaft und muss zerbrochen werden, damit die echte Gemeinschaft leben kann.” Soweit Bonhoeffer.
Gott kann die Scherben eines zerbrochenen Bildes von Gemeinschaft wieder zusammen setzen. Bitten wir Gott doch darum. Geben wir Ihm die Scherben. Es lohnt sich. Ich wünsche jedem, dass wir ganz neu entdecken, wie wertvoll und schön Gemeinschaft ist, auch wenn Spannungen auftreten. Bleibe da, wo Gott dich segnen und gebrauchen möchte.
Amen