Wer bin ich? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Und doch ist es eine sehr wichtige Frage. Hinter den Rollen, die ich spiele, hinter den Masken, die ich trage verbirgt sich die Antwort. Doch nur in der Begegnung mit Gott, im Gespräch mit meinem Schöpfer, lerne ich mich wirklich selbst kennen. Beweis dafür ist eines der schönsten und bekanntesten Bücher der Bibel - das Buch der Psalmen, das Gebetbuch der Juden. In Psalm 139,14 steht: Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
Das schöne ist: Gott weiß schon lange, wer ich bin, wer du bist. Und Gott will mir helfen, mich selbst zu erkennen, mich kennen zu lernen. Gott will mir helfen, wahrer Mensch zu werden. Wer betet, wirklich betet, legt alle Masken ab, lässt alle Rollen hinter sich. Nicht Heuchler, Schauspieler, Plapperer. Wer betet, entdeckt sich selbst. "Ein Gebet ist immer auch ein Selbstgespräch, da will man nicht lügen oder rumschleimen, man muss da Tacheles reden." (Dieter Bohlen, Stern Nr. 41/2008 vom 2. Oktober 2008, S. 168)
Beten heißt Tacheles reden, ist „Atmen der Seele“. Luther sagt:
„Gebet ist Reden des Herzens
mit Gott“.
Das ist eine schöne Beschreibung. Mein Herz redet mit Gott. Es schüttet aus, was mich beschäftigt. Es hört auf Gott. Denn Reden schließt Hören mit ein. Gebet ist Zwiesprache mit Gott. Die Grundmelodie für diesen Abschnitt lautet, Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Matth 6,1 Frömmigkeit meint hier, wie ich meinen Glauben lebe.
Die Aktion Glaube am Montag soll uns helfen, dass wir nicht nur am Sonntag gläubig sind. Dein Glaube soll im Alltag gelebt werden. Aber nicht in erster Linie, um Menschen auf unseren Glauben aufmerksam zu machen. Glaube am Montag ist Glaube um Gottes willen! Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit … (Matth 6,33) Nach Gott fragen, ihm gefallen wollen, dieses eine im ganzen Leben beherrschend sein lassen: Herr, diese Offenbarung drück du mir zur Bewahrung beständig in den Sinn, dass ich auf das nur sehe, ich gehe oder stehe, wie ich vor deinen Augen bin! (Ph. F. Hiller) Ähnlich steht es schon in Psalm 115,1
Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Gnade und Treue willen!
1. Beten muss gelernt werden
… macht es nicht wie… Die Gefahr besteht, sich die falsche Art zu beten abzugucken. Beten muss gelernt werden. Jesus hilft uns, richtig beten zu lernen. Nicht jede Form des Betens gefällt Gott und ist sinnvoll. Weil das nicht so einfach ist, gibt Jesus hier diese kurze Einleitung zum Vaterunser. Wir lernen Beten durch Vorbilder. Weil es auch schlechte Vorbilder gibt, sind wir gut beraten, auf Jesus zu hören. Gebraucht beim Beten keine gedrechselten Worte und wiederholt nicht endlos eure Anliegen, sondern sprecht schlicht und einfach zu Gott, wie euch der Schnabel gewachsen ist.
Ihr braucht Gott nicht zu erklären, was ihr wollt. Gott weiß, was ihr braucht. Für Jesus ist das Gebet keine zwanghafte Frömmigkeitsübung, die wir vollziehen, damit Gott uns gnädig bleibt. Für Jesus ist wahres Beten das Gegenteil von gesetzlichen Druck und Zwang. Das Gebet ist die Zeit, in der ich alle Rollen, die ich im Alltag spiele, und alle Masken endlich ablegen kann und so sein kann, wie ich wirklich bin. Denn Gott kennt mich schon lange.
Euer Vater weiß, was ihr nötig habt, noch ehe ihr ihn bittet.
Beten ist die Ausrichtung des Herzens auf Gott, auf die Quelle des Lebens. Darum gehört das Gebet zum Zentralen im Leben jedes Christen. Wenn unser Herz auf Gott ausgerichtet ist, dann haben wir das Wesentlichste, die Mitte. Denn Gott ist die Quelle aller Liebe. Darum verbietet Jesus zwei Fehlformen des Gebets: wir sollen „nicht beten wie die Heuchler“, und wir sollen „nicht plappern wie die Heiden“.
2. Wer betet, will keine Bewunderung.
Heuchler sind nicht etwa Lügner. Heuchler sind Menschen, die mehr scheinen wollen, als sie sind. Es geht ihnen nur um den guten Eindruck bei anderen. Wir beten nicht demonstrativ in der Öffentlichkeit, um Eindruck zu schinden. Aber wir können auch uns selber zum Zuschauer des eigenen Betens machen und uns selbst damit etwas beweisen wollen, indem wir uns z.B. gut vorkommen, weil wir unser angebliches Gebetssoll erfüllt haben. Oder wir fühlen uns schlecht, weil wir nur so kläglich oder gar nicht gebetet haben. So aber bleiben wir doch nur beim Kreisen um uns selbst stehen. Das nennt Jesus Beten wie die Heuchler: Gott sagen und doch nur mich selbst meinen. Echtes Beten richtet sich weder an andere Menschen noch an unser Selbstwertgefühl. Wer betet, sucht wirklich den Kontakt mit Gott. Wer beim Beten nur den eigenen Vorteil anstrebt, hat seinen „Lohn empfangen“, wie Jesus hier sagt. Außer Bewunderung führt das heuchlerische Gebet zu nichts.
Damit das Gebet verheißungsvoll wird, sollen wir uns zurückziehen, empfiehlt Jesus: Geh in deine Kammer und schließ die Tür. Das stille Kämmerlein war damals die dunkle Vorratskammer, der einzige abschließbare Raum. Jesus will uns hier nicht einen bestimmten Ort für das Gebet vorschreiben. Jesus sagt: Beten gelingt am ehesten in völliger Zurückgezogenheit. Er selber hat das immer wieder so getan. Beten ist sehr störungsanfällig und zudem etwas sehr Persönliches. Darum kann es nur gelingen, wenn wir ungestört und ungekünstelt vor Gott treten können.
Dass wir uns beim Beten gerne verstellen, statt wirklich echt zu sagen, wie es uns wirklich zumute ist, das hat einen Grund. Es ist schwierig, ins eigene Innere zu blicken. Wir sehen in uns nicht nur Schönes. Da gibt es auch Eifersucht und Neid, Ängste und Triebhaftes, Schmerz und Wut, Rachegelüste oder Gewaltphantasien. Beim Blick in unser Herz können wir erschrecken über unsere Lieblosigkeit und Schuldhaftigkeit. So erkennen wir unsere Erlösungsbedürftigkeit. Jesus rät uns, „geistlich arm“ vor Gott zu kommen. Ganz ohne Stolz auf die eigenen frommen Leistungen, dafür im Vertrauen auf Gottes Liebe. Gott weist uns nicht zurück. Er lässt uns nicht zu kurz kommen. Wir können angstfrei und unverstellt alles zur Sprache bringen, was uns beschäftigt: Dankbarkeit und Lebensfreude, aber auch unsere innere Not und Erlösungsbedürftigkeit. So hilft uns das Beten zur Erkenntnis, wer wir selbst sind und wer Gott für uns ist. Das gibt unserem Leben mehr Tiefgang. Und so nehmen wir die eigenen Freuden und Nöte besser wahr, aber wir werden auch offener und einfühlsamer für die Nöte unserer Mitmenschen. Das ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Befreiung aus der Ichbezogenheit.
3. Wer betet, vertraut auf Gottes Güte
Ihr sollt nicht plappern wie die Heiden. Jesus geht es hier nicht um die äußerliche Länge eines Gebets. Es geht um etwas tiefer Liegendes. Was ist denn der Grund dafür, dass wir in Versuchung kommen, viele Worte zu machen beim Beten? Doch das Bemühen, Gott wirkungsvoll anzusprechen, die Sorge, sonst nicht richtig verstanden zu werden, der Versuch, damit Gottes Wohlwollen zu gewinnen. Jesus erklärt das für überflüssig. Es ist heidnisch zu meinen, wir müssten mit unseren Gebeten Gott über unsere Situation informieren und ihn für uns in Bewegung bringen. Aber versuchen wir nicht dauernd genau das mit unsren Gebeten, als ob wir uns mit unserer Gebetsleistung etwas bei Gott verdienen müssten? Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Gott ist wie ein Vater. Er liebt uns. Er weiß. Er freut sich, wenn wir vertrauensvoll zu ihm kommen. Dietrich Bonhoeffer hat sich auch gefragt, wer er ist. Daraus wurde ein wichtiges Bekenntnis:
„Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist. Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, umgetrieben vom Warten auf große Dinge, ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne, müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen, matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling? Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer, das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg? Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.“