Ich glaube, hilf meinem Unglauben
Mk 9,24  |  27.12.20  |  V. Janke

Viele Jahre ist es her. Heinz S. fuhr auf dem eigenen Bauernhof aus Versehen seinen 4-jährigen Sohn tot. Ein unfassbares, unvorstellbares Unglück. Eine unheilbare Wunde. Am Grab seines toten Sohnes legt er sich nach der Beerdigung flach auf den Boden und bittet Jesus, ihm seinen Sohn wiederzugeben. Verzweifelte Vaterliebe, die betet und fleht. Er will seinen Johannes wieder. Er traut es Gott zu. Irgendwann wird seine Frau wieder schwanger. Drei Kinder haben sie schon. Der jüngste bekommt den Namen Johannes. Wir sind heute mit Johannes befreundet. Ich durfte seinen Vater Heinz S. im August 2018 beerdigen. Sein Grab liegt gleich neben dem seines kleinen Johannes.


In Markus 9 bekommen wir Einblick in ein ähnliches, schmerzvolles Familiendrama. Viele Menschen haben auch Wunden und Tragik in ihrer Geschichte, die sie prägt und die oft sehr intim ist.


  1. Vaterliebe

Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Hier höre ich Vaterliebe. Ja, Liebe kann man hören. Ich höre verzweifelte Vaterliebe, die ehrlich und öffentlich die eigene Schwachheit und Ohnmacht bekennt. Liebe hilft auch, demütig zu sein. Dieser Vater bittet Jesus um Hilfe. Hilf meinem Unglauben! Er fleht Jesus um Hilfe an. Er schreit um Hilfe. Hier ist die leidenschaftliche Bitte eines Vaters, der aus Liebe zu seinem Kind leidet. Es ist die Bitte des liebenden Vaters, der mit dem Schwachen und Hilflosen leidet. Dieser Vater liebt seinen Sohn. Er gibt seinen Sohn und seinen Wunsch, ihm zu helfen, nicht auf. Er kann ihn nicht aufgeben. Auch daran leidet er, dass er nicht aufhören kann zu lieben. Er rechnet mit Hilfe wider alle Vernunft und ohne zu wissen, wie die Hilfe aussehen kann. Auch das ist Glaube, den eigenen Unglauben zu bekennen. Glaube ist auch glauben wollen und nicht glauben können.


  1. Der Liebe eine Stimme geben

Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Wie hat der Vater diese Worte wohl gesagt? Hörst du ihn? Hörst du seine Liebe, seine Not, seine Verzweiflung, seinen Schmerz, seine Hoffnung? Ich höre all das. Ich höre nicht nur diesen Vater. Ich höre die Sehnsucht und verzweifelten Bitten vieler Menschen, die Gott um Hilfe anflehen. Wie viel würde ich für mein krankes, leidendes Kind tun? Für meine Frau, meinen Mann? Für meine Eltern? Wie wichtig ist mir mein Nächster? Dieser Vater würde alles geben und alles tun für sein eigenes Kind. Er ist ein beeindruckendes Beispiel der opferbereiten Liebe für einen anderen.


  1. Worum geht es?

Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's nicht.


„Der Vierjährige beim ins-Bett-bringen: „Morgen bitte nur einen kleinen Tag. Heute war mir anstrengend.“ Wie viele Kinder sagen das wohl jeden Tag? Wie viele Eltern? Einige Menschen haben viele anstrengende Tage, wünschen sie „kleine Tage“. In Mk 9 ist es ein Kind, das leidet. Sein eigenes Kind leidet. Seit Jahren leidet sein Kind. - Und natürlich leidet der Vater mit seinem Kind.


Worum geht es hier?  

Es geht erstens um Jünger Jesu, die nicht helfen können, nicht frei machen können, nichts ausrichten können. Es geht um „und sie konnten’s nicht.“ Und somit geht es um Enttäuschung und Frust über die Nachfolger Jesu, die außer Worten und Gesten nichts können.
Es geht zweitens um Befreiung vom Leiden eines Kindes und um ein Ende des Leids in einer Familie. Es geht um ein Leben ohne Schmerz und ohne Angst. Es geht darum, endlich wieder Frieden zu haben und vertrauen zu können.
Es geht drittens um eine Machtfrage. Wer kann helfen? Wer kann?
Gott kann!
So stand es auf einer Karte am Krankenbett meiner Mutter. Damit ist Wesentliches gesagt. In 1. Kor 13 sagt Paulus von der Liebe: sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe kann viel! Sie kann Großes. Sie ist stark.
Es geht viertens auch um eine starke Sehnsucht nach einem anderen Leben, befreit von Angst und Leid.
Es geht fünftens um gelebte Liebe und ums Vatersein, um das Eintreten für andere und das Bitten für andere. Väter sollen auch Fürsprecher sein! Sie sollen Fürbeter sein! Sie sollen Liebende sein! Mitleidende sein! Priester sein!


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Diese Geschichte ist das krasse Gegenstück zu Kains Hass auf seinen Bruder. Kain tötet seinen Bruder und sagt dann trotzig zu Gott „Soll ich meines Bruders Hüter sein?!“ Was geht mich mein Bruder an! Was geht mich mein Nächster an! Was geht mich mein Kind an. Was gehen mich die anderen an!“ Die Jahreslosung 2020 ist der Schlüssel zu Unversöhnlichkeit und Gleichgültigkeit.


Dieser Schlüssel lautet „gelebte Liebe, echte Barmherzigkeit.“ Der Leidende und Schwache geht mich etwas an. Er braucht mich. Die Not des anderen geht mich etwas an. Ich glaube; hilf meinem Unglauben! ist die gleiche, leidenschaftliche Bitte wie wir sie im Mund Jakobs finden, der mit dem Engel die ganze Nacht kämpft und dann bittet „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ 1. Mose 32,27 Israel ist der, der mit Gott kämpft. Hier kämpft ein Vater für sein Kind. Ach würden Christen so für einander, für Versöhnung, Frieden und Vergebung kämpfen! Diese Vaterliebe ist die gleiche Liebe, die Abram bewog dreimal für Sodom und Gomorra zu beten: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen. 1 Mo 18,32 Und es war Jesus selbst, der vor dem Scheitern von Petrus ihm sagte: Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Lk 22,32 Gott sei Dank für Fürbeter! Für andere bitten zu können ist ein großes Vorrecht. Vater zu sein ist ein Vorrecht.


  1. Wer braucht welche Hilfe?

Wer ist es denn, der Hilfe braucht? Der Vater oder der Sohn? Kann man das überhaupt trennen? Nein, das kann man nicht trennen. Väter und Söhne, Mütter und Töchter, Eltern und Kinder gehören zusammen. Leiden zusammen, freuen sich zusammen. Väter sind nicht allmächtig. Mütter auch nicht. Aber in seiner Ohnmacht und Hilflosigkeit zeigt dieser Vater die Stärke seiner Liebe. Dieser Vater kämpft für sein Kind. Er kann nicht anders. Er kam zu den Jüngern im Glauben an die Kraft Jesu zu helfen. Er wurde enttäuscht von den Jüngern. Er wurde enttäuscht von Menschen. Aber er blieb hartnäckig. Er ließ nicht locker. Es war sein Kind. Wider alle Vernunft wendet er sich an Jesus selbst. Dieser Vers lässt mich an die Eltern kranker Kinder denken, an ihre Liebe, ihre Last und ihre Grenzen. Es gibt sie, leidende Eltern, überforderte Eltern, verzweifelte Eltern. Viele Eltern finden sich hier wieder. Es gibt entfremdete Eltern, die unsagbar darunter leiden, keinen Kontakt zu den eigenen Kindern zu haben.


Die Kernaussage dieses Textes ist: Jesus hat Macht über unreine Geister. Jesus ist stärker. Jesus kann frei machen. Jesus kann, was Menschen nicht können. Jesus kann helfen! Jesus hilft auch denen, die zweifeln und nicht glauben können. Jesus hilft diesem Vater trotz seines Unglaubens und seiner Zweifel. Und: Jesus möchte gebeten werden. Auch wenn ich etwas nicht kann, wenn mir Kraft und Glaube, Liebe und Vertrauen fehlt, auch wenn ich nicht so bin wie ich gerne wäre oder sein sollte, kann ich doch mit Gottes Hilfe Segen und Heil erfahren. Trotz meiner Schwachheit kann ich Gottes Segen erhalten.


  1. Alle sind hier gemeint

Ich bin dieser Vater! Ich bin dies Kind! Du bist dieser Vater. Diese Mutter. Du bist dies Kind. Hier finden sich alle wieder. Das verlorene, unfreie Kind. Der, der nicht für sich selbst bitten kann. Der Mittler und Priester, der für andere bittet und fühlt und hofft. Der barmherzige Gott, der sich bitten lässt. Graf Zinzendorf hat das Lied „Herz und Herz vereint zusammen“ gedichtet. In Strophe 3 heißt es: Legt es unter euch, ihr Glieder, / auf so treues Lieben an, daß ein jeder für die Brüder / auch das Leben lassen kann.So hat uns der Freund geliebet, so vergoss er dort sein Blut, denkt doch, wie es ihn betrübet, wenn ihr euch selbst Eintrag tut. Liebe bringt Opfer. Liebe ist fähig, sich selbst für den anderen zu geben, damit ihm geholfen wird. Hinter der Jahreslosung verbirgt sich Vaterliebe, unermessliche, unvorstellbare, wunderbare Vaterliebe. So einen Vater hat dies Kind! Dies Kind ist zu beglückwünschen. So einen liebenden Vater! Das wird dies Kind dem Vater nie vergessen. Davon wird er oft noch hören und viel öfter noch reden. Was sein Vater für ihn getan hat. Wie viele wünschen sich so einen Vater, der sich für sie einsetzt! Wie viele wünschen sich so einen Fürsprecher und Kämpfer, der sie so liebt! Diesen Vater gibt es nur einmal in der Bibel. Aber das genügt. Es gibt ihn. Er hat einen Namen, eine Geschichte und einen Sohn, der unsagbar gelitten hat und frei wurde. So sollen Väter sein.



Baptisten Nordenham | Zoar-Kapelle | 26954 Nordenham | Friedrich-Ebert-Str. 65   
Gottesdienst: So 10:00

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